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03.07.2019

Wir brauchen den Umbau

Die DMK Group will sich in der Nahrungsmittelindustrie mit der „Vision 2030“ für die kommenden Jahre rüsten. Was konkret bedeutet das? Ein Gespräch mit DMK-Chef Ingo Müller und dem neuen Finanzchef Dr. Frank Claassen

Flughafenallee 17 in Bremen. Draußen prangt das DMK-Logo über dem Eingang des Bürokomplexes, drinnen zeigt sich deutlich, was die DMK bewegt. Der Wandel eines stark rohstoff- und produktionsgetriebenen Milchverarbeiters hin zu einem konsumentenorientierten Lebensmittelhersteller ist im vollen Gange. Der eingeleitete Umbau des Unternehmens soll weiter vorangetrieben werden.

Dr. Frank Claassen (54) hat als Chief Financial Officer (CFO) am 1. Juli 2019 die Aufgaben von Volkmar Taucher und damit an der Seite von CEO Ingo Müller die Geschäftsführung der DMK Group übernommen. Er gilt in Fachkreisen als ausgewiesener Finanzexperte und kommt aus der Position des Vice President Finance Europe bei der Beiersdorf AG zur DMK Group. Dort ist er über diverse Stationen seit 1994 im Finanzbereich tätig gewesen. Claassen ist verheiratet und hat zwei Kinder.

Im Foyer der DMK sieht man das sehr deutlich. Ingo Müller, CEO der DMK Group, sitzt seinem neuen Kollegen Dr. Frank Claassen in der Lobby gegenüber. Claassen ist seit dem 1. Juli 2019 als Chief Financial Officer (CFO) der DMK Group tätig. Er gilt als Finanzexperte und kommt aus der Position des Vice President Finance Europe nach fast 25 Jahren bei der Beiersdorf AG zur DMK. Im Hintergrund leuchten in einem satten Blau die Buchstaben D, M und K, an der Wand hängt ein sechs Meter hohes Banner mit einem Werbemotiv der Flaggschiffmarke MILRAM. Man sieht es beim Betreten des Eingangsbereichs – hier tut sich was.

Transformation hängt allerdings von mehr ab als von Design, Möbel und Farben. Müller präsentiert seinem Kollegen im Rahmen des sogenannten Onboardings, wie die Arbeitswelt heute die Phase der Einarbeitung nennt, die DMK von morgen. Nach intensiven Vorarbeiten, Abstimmungen mit dem Ehrenamt, Führungskräften und Mitarbeitern startet die nächste Phase des fundamentalen Umbaus eines der größten deutschen Nahrungsmittelherstellers. „In der Planung haben wir uns Gedanken gemacht, wie die Welt in 2030 aus Sicht der DMK aussehen wird, und welchen Einfluss das auf unser Geschäft hat“, erklärt Müller. „Der Blick auf 2030 ist keine komplett ‚neue‘ Strategie und kein Restrukturierungsprogramm, sondern eine Evolution des in den letzten beiden Jahren eingeschlagenen Weges?“, fragt Claassen neugierig. Der „Neue“ in der Konzernleitung mag Veränderung. „Ich suche Aufgaben, die mich fordern, bei denen ich etwas bewegen kann. Verwalten und sich zurücklehnen liegt mir nicht“, hatte er den Führungskräften der DMK bei einem Zusammentreffen Ende Mai erklärt.

 

„Bei DMK gefällt mir das auffällige ‚WIR‘-Gefühl. Darauf lässt sich der Weg in die Zukunft aufbauen“

Dr. Frank Claassen

Die dort gestellte Frage lautete, warum Claassen sich nach einer so langen Zeit bei Beiersdorf für den Wechsel von der Elbe an die Weser entschieden hat. „Als mir Ingo Müller, aber auch die Aufsichtsräte Heinz Korte und Dr. Herbert Grimberg in den ersten Gesprächen die Vision 2030 aufgezeigt haben, konnte ich überall einen Haken machen“, erklärte er der Runde. Auch in seinem Büro macht der Wandel nicht halt – als erste Maßnahme hat er einen Stehtisch aufgebaut. Termine im Stehen seien agiler und lösungsorientierter, erklärt Claassen, wenn Gäste zum Termin in seinem Büro verwundert schauen und nach einem eingedeckten Konferenztisch suchen. „Als neugieriger Mensch interessieren mich Menschen. Bei DMK gefällt mir das auffällige ‚WIR‘-Gefühl. Darauf lässt sich der Weg in die Zukunft gut aufbauen.“

 

Was hat es mit dem Wandel auf sich, von dem seit geraumer Zeit auch ein klares Bild in den Medien zeugt, wenn man etwas über die DMK liest? Müller macht wesentliche Veränderungen in sechs zentralen Punkten aus. „Wir fokussieren unser Sortiment zunehmend durch den Rückzug aus ausgewählten Geschäftsfeldern und die Definition von klaren Rollen je Geschäftsfeld. Wo investieren wir, wo können wir wachsen? Wo gilt es, das Geschäft mit klaren Maßnahmen so zu gestalten, dass wir auch dort, wo nicht per se Marktwachstum anzutreffen ist, Geld verdienen können?“, lautet Müllers Marschroute. Daneben werden die internationalen Aktivitäten weiter geschärft, hier sei der organisatorische Umbau der letzten Jahre nicht weit genug gegangen. „Wir betrachten Europa als unseren Heimatmarkt und konzentrieren die Expertise hier zukünftig in den richtigen Business Units.“ Marke in Europa findet in der BU Brand statt, Handelsmarke auf europäischen Boden wird durch die BU Private Label organisiert. Klar marktorientiert – große Handelsketten sind längst europäisch aufgestellt. Über die Grenzen Europas hinaus hat die BU International jetzt Kapazitäten, die Bearbeitung des außereuropäischen Geschäfts zu strukturieren. „International werden wir Schwerpunkte setzen. Regionale Stützpunkte in Russland, China oder Nigeria mit lokalen Teams sind wirkungsvoller als der Export aus Deutschland heraus. Das macht in ausgewählten Ländern ergänzend Sinn, in denen wir auch mit entsprechenden Volumen unterwegs sind. Wir können uns nichts davon kaufen, wenn wir nur die Anzahl der Exportmärkte zählen“, ist sich Müller sicher. Claassen interessiert ein weiteres Thema: „Ernährungstrends verändern sich. Was ist mit angrenzenden Getränke- und Lebensmittelsegmenten, die neben Milchprodukten unser zukünftiges Standbein ausmachen können? Was ist mit pflanzenbasierten Alternativen?“

„Milch wird unser Rohstoff Nummer eins bleiben“

Ingo Müller

Nach seiner Ausbildung bei der Nordmilch durchlief Ingo Müller im Unternehmen eine Vielzahl von beruflichen Stationen. Im Jahr 2011 übernahm er die Geschäftsführung des Bereichs Ingredients sowie das Zentrale Qualitätsmanagement und die Forschung und Entwicklung. Zuvor war er Direktor Landwirtschaft und Geschäftsführer der Nordmilch eG (2009–2011). Im Oktober 2016 wurde der 47-jährige Diplom-Ingenieur für Milchund Molkereiwirtschaft zum CEO der DMK Group berufen. Müller ist verheiratet und hat zwei Kinder.

Müller fühlt sich bei dieser Frage spürbar angesprochen und legt das iPad zur Seite, auf dem sich die beiden die Zukunftsszenarien anschauen. „Wir verändern unsere Positionierung vom Volumenspieler in der Milchwirtschaft zum Anbieter von ausgewählten Produkten natürlichen Ursprungs. Milch wird unser Rohstoff Nummer eins sein. Wer sich aber die weltweiten Entwicklungen anschaut, der merkt recht schnell zwei Dinge. Zum einen ist mit Milch die steigende Bevölkerungszahl irgendwann nicht mehr zu ernähren, zum anderen suchen Konsumenten aus verschiedensten Gründen nach Alternativen. Das auszublenden wäre fahrlässig. Wir werden hier gezielt vorgehen – innerhalb der Business Unit Brand werden wir uns in den kommenden Monaten sehr genau anschauen, wie wir uns auf diesem Feld aufstellen.“ Claassen nickt. Den Verbraucher in den Mittelpunkt zu stellen, von seinen Bedürfnissen aus zu denken, das kennt der CFO aus seinem bisherigen Umfeld bei Beiersdorf zu gut. „Wir vertiefen unser Kundenverständnis und sprechen Altersklassen individueller an. Unsere neue Vision ‚Die erste Wahl, ein Leben lang‘ fasst für mich perfekt zusammen, was wir mit unserem Sortiment anbieten können.“

Müller treibt derzeit besonders eine Frage um. „Ist nicht das Hier und Jetzt wichtiger als die Zukunft?“ wurde er regelmäßig gefragt in den vielen Terminen, in denen das Zielbild erläutert wurde. Das Geschäft ist und bleibt herausfordernd, das ist klar. Aber über den Tellerrand zu schauen sichert das Tagesgeschäft der Zukunft. „Wenn wir uns heute verbessern und Kosten sparen wollen, müssen wir festlegen, wohin wir wollen. Sonst treffen wir kurzfristig Entscheidungen, die uns in der Zukunft den Weg versperren oder Doppelarbeit bedeuten. Wenn wir uns darum heute nicht kümmern, brauchen wir, überspitzt gesprochen, morgen nicht mehr antreten.“ Bei einem anderen Punkt sind sich beide ebenfalls sehr klar: Ein wesentlicher Faktor beim Wandel ist Zeit. „Wir wissen, dass die DMK die Leidensfähigkeit ihrer Landwirte in der Vergangenheit oft strapaziert hat. Gleichwohl wissen wir, dass ein so fundamentaler Umbau, wie wir ihn derzeit vornehmen, nicht über Nacht greift.“ Neben den grundlegenden organisatorischen Maßnahmen eines der größten deutschen Lebensmittelherstellers ist die Neuausrichtung auch ein massiver Wandel in der Unternehmenskultur. „Bei beiden Faktoren haben wir einen ambitionierten Plan, den wir aber auch mit der gebotenen Sorgfalt umsetzen müssen, um die volle Leistung der DMK entfalten zu können.“ Das formulierte Zielbild 2030 ist der Grundstein, um das Unternehmen für die Zukunft fit zu machen. Ein sichtbares Signal für Veränderung. So kann jede zukünftige Maßnahme ausgerichtet werden und das Tempo für neue Produkte, neue Zielgruppen und neue Märkte erhöht werden.

Ines Krummacker erklärte jüngst auf der Führungskräftekonferenz, was der Wandel von Mitarbeitern abverlangt. Dazu gehört für die Personalchefin der DMK der schleunige Abbau von Hierarchiedenken, eine Feedbackkultur sowie verstärkt abteilungsübergreifendes, projektbezogenes Arbeiten. Notwendig sei dazu vor allem eine neue Haltung. Im Kern gehe es um die Frage: „Wie wollen wir zusammenarbeiten?“ In vielen Fällen müssten Führungskräfte dafür neue Verhaltensweisen erlernen. Sie verfügen nicht mehr über einen Wissensvorsprung und sollen keine Anweisungen geben, sondern die Mitarbeiter bei eigenverantwortlichem Handeln unterstützen. „Wer glaubt, das geht nebenbei, der irrt sich gewaltig“, erklärte Krummacker ihren Führungskollegen. Es sei ein Eingriff in den Alltag, der von den Führungskräften vorgelebt und von den Mitarbeitern getragen werden müsse. „Kultur ist kein Programm aus dem Weiterbildungskatalog. Kultur kann man nur leben.“ Müller und Claassen wissen zu gut: Der Weg der nächsten Jahre wird kein Selbstläufer. Aber das Zielbild 2030 steht – die DMK weiß, was sie erwartet.

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