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18.07.2023

Das Verbraucher-Paradox

Unsere Ernährungsweisen sind im Umbruch. Junge Konsumenten unterscheiden sich von den älteren beim Verlangen nach Genuss, Lebensfreude und Nachhaltigkeit, sagt Marktforscher Robert Kecskes. Das passiert nicht ohne Widersprüche.

Herr Kecskes, welche Unterschiede sehen Sie im Ernährungsverhalten der Verbraucher?

Zwischen den Generationen gibt es deutliche Unterschiede im Ernährungsverhalten. Nehmen wir die Generation der iBrains, die Jahrgänge 1997 bis 2011. Mehr und mehr versuchen sie einen ‚Planetary Health Lifestyle‘ zu leben. Ein aufregend SINNlich visionärer Lebensstil, ohne die Ressourcen des Planeten weiter auszubeuten. Eine ‚Planetary Health Diet‘, ein Speiseplan, der gleichermaßen die Gesundheit des Menschen wie die des Planeten schützt, ist dabei ein wichtiger Baustein. Die ‚Planetary Health Diet‘ folgt jedoch keiner Verzichts-, sondern einer Bereicherungslogik. Für die jungen Menschen spielen Technologien, neue Formen der Kommunikation, Lebensfreude, Genuss und ,Thrill‘ eine wichtige Rolle. ‚Reformhaus-Welten‘ sind für sie ein eher langweiliger Problemlösungsblick in die Vergangenheit der Babyboomer, der älteren Generation.

… und wie passen da Sinnlichkeit und Nachhaltigkeit zusammen, wenn Erdbeeren aus Ägypten im Winter gekauft werden?

Ach, Erdbeeren aus Ägypten im Winter. Wie häufig bekomme ich diese Frage gestellt? Aber wurde sie mir vor zehn Jahren gestellt? Nein! Entscheidend für eine Entwicklung ist doch die zeitliche Perspektive. Wer heute Erdbeeren aus Ägypten im Winter kauft, wer sich heute als ‚klassischer Fleischesser’ outet, ist in Rechenschaftspflicht. Das war vor zehn Jahren nicht so. Dies zeigt deutlich, wohin der Zug fährt. Was wir beobachten, ist eine poetische Revolution. Die Jungen leben den Zusammenschluss von Hedonismus und Verantwortung für den Planeten Erde. Dies unterscheidet sie zum Beispiel von der Generation X, als diese im Alter der iBrains waren. Bei ihnen dominierte der Hedonismus einer flächendeckenden Spaßkultur.

„Es ist nicht die Frage, ob Milch getrunken wird, sondern in welcher Form die Produktion stattfindet.“

Robert Kecskes, Marktforscher.

Was bedeutet das ­für die Milch und Milchprodukte?

Milch ist ein Naturprodukt und bleibt weiterhin wichtig, auch für die jungen Menschen. Es ist nicht die Frage, ob Milch getrunken wird, sondern in welcher Form die Produktion stattfindet. Die Konsumenten achten viel mehr auf einen fairen Umgang mit den Erzeugern, auf Tierwohl und den CO2-Fußabdruck. Das gilt auch für Käse oder andere Milchprodukte.

Welche Rolle spielen pflanzliche Alternativen?

Viele iBrains sehen in Ersatzprodukten auf p¢anzlicher Basis eine Alternative zur Milch. Mit zunehmendem Alter sinkt das Interesse. Doch ‚Plant Based‘ wird in den Mainstream einziehen. Das bedeutet nicht, dass sich die Menschen von der Milch vollständig abwenden. Doch die Balance zwischen tierischen und pflanzlichen Proteinen wird sich neu justieren.

Wie sollen Lebensmittelerzeuger darauf reagieren?

Zunächst einmal fordern die jungen Menschen nicht, dass Hersteller reagieren, sie sollen agieren und sich zu einer ‚Planetary Health Brand‘ entwickeln. Die für die jungen Menschen attraktiven Marken sind SINNlich aufregend, kommunizieren Werte, handeln, mischen sich ein, vermitteln eine Zukunftsvision einer besseren Welt, sprechen nicht zum Konsumenten, sondern mit den Menschen. Dies sind für die jungen Menschen Marken einer poetischen Revolution. Es sind Marken einer Sinnwelt, die die pure Steigerungslogik der alten Dingwelt hinter sich lassen.

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